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Ausbeutung auf Probe in Südhessen

20. Juni 2013
Darmstädter Echo | von Meike Mittmeyer

Arbeitsmarkt – Unbezahltes Arbeiten vor einer Anstellung ist in vielen Branchen üblich – Manche nutzen das aus

SÜDHESSEN. Die 20 Jahre alte Johanna Sperl (Name geändert) aus dem Kreis Groß-Gerau hat schon eine ganze Menge Jobs gehabt. Dabei steht sie erst ganz am Anfang ihres Berufslebens – in einer Phase zwischen Abitur und Studienbeginn, einer Phase des Orientierens und Ausprobierens. Um ein paar Erfahrungen zu sammeln und etwas Geld zu verdienen, bewarb sie sich auf Stellenausschreibungen für Aushilfsjobs in Bekleidungsgeschäften, Drogerien, Bowlingcentern und Cafés in der Umgebung. Vielerorts durfte sie auch sofort anfangen zu arbeiten – oft aber nicht länger als ein paar Stunden. Denn sie wurde mehrfach nur zum unbezahlten Probearbeiten eingeladen.

„Fünf Stunden am Tag musste ich Kleidung aus Kisten ausräumen und auf Bügel hängen, sonst nichts“, erzählt die junge Frau von einem Erlebnis in einem Weiterstädter Bekleidungsgeschäft. In einem anderen Laden sei sie sogar zwei volle Arbeitstage lang für Aushilfstätigkeiten eingespannt worden – Geld bekam sie dafür nicht. Und gehört hat sie von den Arbeitgebern danach auch nie wieder. Als sie nachfragte, hieß es, es bestehe doch kein Bedarf mehr. „Da fühlt man sich schon irgendwie ausgebeutet“, ärgert sich Sperl.

Probearbeiten dient nur dem Schnuppern

Und das auch zu Recht, sagt der auf Arbeitsrecht spezialisierte Darmstädter Anwalt Markus Bär. Denn sofern beim Probearbeiten eine echte Arbeitsleistung erbracht werde, sei diese auch in jedem Fall zu vergüten. Das Probearbeiten – das sich juristisch korrekt Einfühlungsverhältnis nennt – habe lediglich den Zweck, die Voraussetzungen für eine mögliche weitere Zusammenarbeit zu klären. Diese Zeit dient also dem Kennenlernen der künftigen Einsatzfelder.

„Der Arbeitnehmer untersteht während dieser Zeit lediglich dem Hausrecht des Arbeitgebers, nicht aber seinem Direktionsrecht“, sagt Bär. Heißt im Klartext: „Es besteht keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung. Eine bestimmte Arbeitszeit muss nicht eingehalten werden.“ Das hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in einem Urteil aus dem Jahr 2007 klar festgelegt.

Auch Horst Gobrecht von der Gewerkschaft Verdi, zuständig für den Fachbereich Handel, findet für Erfahrungen wie die von Johanna Sperl klare Worte: „Das ist nach meiner Rechtsauffassung illegal. Probearbeiten muss bezahlt werden. Wird es nicht bezahlt, hintergehen die Firmen die Sozialversicherung.“ Zwar führe Verdi keine genauen Statistiken, allerdings bezeichnet der Gewerkschaftsvertreter die Ausbeutung unbezahlter Probearbeiter in einigen Branchen als „durchaus üblich“.

Er berichtet von Fällen aus der Gastronomie, bei denen jungen Leuten Ausbildungsplätze versprochen wurden. Vorher sollten sie jedoch entgeltfrei bei großen Feierlichkeiten wie Hochzeiten als Kellner aushelfen. „Danach haben die Betroffenen nie wieder was von der Firma gehört“, sagt er. Er rät Betroffenen, die nach solchen Erfahrungen mit leeren Händen dastehen, das Gehalt für die geleistete Arbeit einzuklagen.

Nach Auskunft von Arbeitnehmeranwalt Bär haben solche Klagen zwar schon Aussicht auf Erfolg – allerdings nur, wenn der Kläger auch beweisen kann, dass er während des Probearbeitens eine echte Arbeitsleistung erbracht hat. Dafür braucht man Zeugen, also etwa Arbeitskollegen. Bär gibt jedoch zu bedenken, dass sich ein solcher Prozess lange hinziehen und sehr teuer werden kann. Der Aufwand stehe dann schnell in keinem Verhältnis mehr zu der Summe, die sich einklagen ließe. In den meisten Fällen sei es mit der Beweislage ohnehin schwierig. „Darauf spekulieren viele Firmen natürlich“, sagt Bär. Es gibt nur wenige Fälle, in denen ausgebeutete Arbeitskräfte vor Gericht gezogen sind. Er schätzt aber, dass die Dunkelziffer recht hoch sein dürfte.

Von der Grundidee her hat das Probearbeiten ganz andere Absichten: Bei der Bundesagentur für Arbeit ist es üblich, Jobsuchenden Probe-Beschäftigungen zu vermitteln – allerdings wird für diese Zeit auch das Arbeitslosengeld weitergezahlt, erläutert Judith Sturm, Pressesprecherin der Darmstädter Arbeitsagentur. „Und unfallversichert sind die Betroffenen selbstverständlich auch.“ Im besten Fall mündet die Probearbeit dann in ein festes Anstellungsverhältnis.

„Es ist hart, für nichts zu arbeiten“

Bei Johanna Sperl sah das anders aus: Sie war nicht arbeitslos gemeldet und bewarb sich selbstständig auf Stellenanzeigen, ohne Vermittlungshilfe durch die Arbeitsagentur. „Darauf haben wir dann natürlich keinen Einfluss“, sagt Sprecherin Sturm. „In Einzelfällen kommt das leider vor, ist aber nicht die Masse.“ Konkrete Zahlen würden allerdings nicht erfasst. Mittlerweile hat Johanna Sperl einen Aushilfsjob in einer Bekleidungskette gefunden, der ihr Spaß macht. 7,80 Euro verdient sie da pro Stunde. „Bekommen habe ich den Job ganz unkompliziert ohne Probearbeiten.“

Obwohl ihre ersten Erfahrungen mit dem Arbeitsmarkt in den vergangenen paar Monaten eher durchwachsen waren, nimmt sie dennoch etwas Positives daraus mit: „Wenn ich jetzt sehe, dass zum Beispiel ein Verkäufer in einem Geschäft oder ein Kellner mal ziemlich schlecht gelaunt ist, denke ich nicht mehr: Servicewüste Deutschland. Sondern: ich kann das echt nachvollziehen. Denn ich weiß, wie hart es ist, für wenig oder sogar nichts zu arbeiten.“

Stellungnahmen aus Arbeitgeber-Sicht waren trotz mehrfacher Nachfrage nicht zu bekommen. Die IHK Darmstadt fühlt sich nicht zuständig und verwies sogleich auf den Unternehmerverband Hessischer Einzelhandel Mitte-Süd mit Sitz in Frankfurt, der sich aber auch nicht äußerte.

3 Kommentare

  1. Auch das Jobcenter Frankfurt vermittelt über eine Trainingsmaßnahme des Bildungszentrums Bauer eine 4 wöchige kostenlose Arbeit. Hier soll man/Frau in einem Unternehmem im Umfeld Arbeitskraft kostenlos anbieten.


  2. Eigentlich unvorstellbar aber dennoch übles Treiben auf dem Arbeits-Markt, beste ist es man vereinbart gleich nur ein Praktikum und kein
    Probearbeiten ,auch wenn alle Gesetze eindeutig sind ist alles immer
    Sache der Darstellung und man muss wissen wer am läengeren Hebel sitzt!
    Habe selbst mal 4 Wochen in einem „Praktikum“ gerne mitgearbeitet
    Ein Job hat sich nicht ergeben aber nette Kollegen an die man denkt.
    Sich zu profilieren ist ein Verdienst den man nicht gleich i
    n MateriellerGegenleistung messen kann!
    Ich bekam Geschenke ,durfte aber nie auf die Website we

    Weil Hartz Empfänger ja nicht alles haben sollen was der Arbeiter sich leisten kann!

    Deutschland vorkommt in einem wirtschaftschaedlichem Kastendenken ,überall in allen Branchen!:'(


  3. Von Mitte 2009 bis Anfang 2010 war ich auf Hilfe nach SGB II angewiesen. Dabei habe ich 2 Monate bei einem eher kleinen Dieburger IT Dienstleister ein Praktikum absolviert. Eine Vergütung (160 Euro/Monat bei einer 40-Stunden-Woche) habe ich zwar erhalten, musste dafür aber auch wie ein Festangestellter Projekte und Kunden betreuen. Während dieser Zeit habe ich unter anderem für ein Weiterstädter Radiologiezentrum ein Intranet entworfen (welches auf Open Source basierte). Da ich meinen Vor- und Nachamen in den von mir erstellten Webseitenschablonen implementiert habe (ist bei Open Source Projekten so üblich), ist der cholerische und an Adipositas leidende Geschäftsführer völlig ausgerastet. Es kam zum Bruch, am gleichen Tag bin ich da auch nicht mehr im Praktium gewesen. Insgesamt habe ich 320,- Euro für 2 Monate harte Arbeit erhalten (in dieser Zeit habe ich ja auch noch ALG II Leistungen erhalten). Der Geschäftsinhaber hat seinen Kunden einen Stundenlohn in Höhe von ca. 80 Euro/Stunde berechnet.

    Was dem Kapitalismus heute fehlt ist ein egalitärer Gegner. Wir brauchen unbedigt neue gesellschaftliche Modelle.

    Es tut mir in der Seele weh wie Menschen heutzutage ausgebeutet werden.

    Ich für meinen Teil werde Widerstand leisten.



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